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Wenn Freizeit- oder Turnierpferde aufgrund einer Verletzung oder
Krankheit unreitbar werden, liegt bei Stuten und Hengsten der
Wunsch nahe, das Tier zur Zucht einzusetzen. Damit kann das Pferd
weiter genutzt werden und erwirbt sich damit eine Daseinsberechtigung.
Doch ist es immer sinnvoll, mit reituntauglichen Pferden zu
züchten?
Auf dem Pferdemarkt erzielen Stuten
und Hengste meist höhere Preise als
Wallache. Obwohl sich der Wallach
als „besseres Reitpferd“ darstellt, weil ihm das
Interesse am anderen Geschlecht fehlt, und er
somit unterm Sattel in der Regel besser zu händeln
ist, entscheiden sich viele Pferdefreunde
dennoch für eine Stute oder einen Hengst als
Reitpferd. Schon bei der Kaufentscheidung wird
dabei oft der Gedanke im Hinterkopf getragen,
dass das Pferd – auch nach einer möglichen
nicht therapierbaren Verletzung oder Erkrankung
– in der Zucht eingesetzt werden kann.
Denn was tut man mit einem Wallach, den man
weder reiten, noch anderweitig nutzen kann?
Nicht wenige Pferdebesitzer denken wirtschaftlich,
so dass einem vermeintlich nutzlosen Pferd
der Weg zum Schlachter nicht erspart bleibt. Da
der Pferdefreund häufig aber auch emotional
mit seinem Pferd stark verbunden ist, möchte
er eine derart ausweglose Situation vermeiden
und entscheidet sich deshalb schon beim Kauf
für ein fortpflanzungsfähiges Pferd. Eine Stute
kann dann im Krankheitsfall immer noch ein
Fohlen bringen und somit ihre Daseinsberechtigung
erfüllen. Auch der Hengst kann dem Menschen
als Zuchttier dienen und so sein Futtergeld
verdienen.
Vom Sport in die Zucht
In der Praxis werden ausgediente Turnierpferde
fast immer in der Zucht eingesetzt, wobei hier
aber differenziert werden muss:
Ein Zuchtpferd sollte seine Leistungsfähigkeit
unter Beweis stellen, bevor es in der Zucht eingesetzt
wird. Nur wenn das Tier auf Turnieren
und Schauen vorgestellt wird, erhält es auch
den Bekanntheitsgrad, den es benötigt, damit
der Züchter die Nachkommen des Pferdes zu
einem akzeptablen Preis absetzen kann oder –
wenn es sich um einen Hengst handelt – dieser
von Stutenbesitzern zum Decken gebucht wird.
Somit ist der Turniereinsatz eines Pferdes, das
für die Zucht vorgesehen ist, durchaus sinnvoll.
Die andere Seite der Medaille ist jedoch, dass
Turnier-, aber auch Freizeitpferde zu Zuchtpferden
umfunktioniert werden, wenn sie ihre
Dienste als Reitpferde nicht mehr erfüllen können.
Dieser Fall tritt dann ein, wenn sich ein
Pferd so schwer verletzt oder erkrankt, dass
eine Genesung und somit der Einsatz als Reitpferd
nicht mehr zu erwarten ist. Dies betrifft
sehr häufig degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparates,
aber auch andere Krankheiten
und Verletzungen.
Der frühzeitige „Ausfall“ des Pferdes kann zum
Einen aufgrund eines Unfalls geschehen, zum
Anderen spielen nicht selten erbliche Dispositionen
eine Rolle.
Im erstgenannten Fall steht dem Einsatz als
Zuchtpferd normalerweise nichts im Wege,
wenn nicht die Belastung des Zuchteinsatzes
(z.B. höheres Gewicht durch Austragen eines
Fohlens) dagegen spricht. Ausgeschlossen sollte
hier auch eine disponierte Strukturschwäche
(von Knochen, Sehnen, Bändern etc.) sein, die
zu der entsprechenden Verletzung und somit
zum Ausfall des Pferdes geführt hat.
Im zuletzt genannten Fall hingegen werden erbliche
Dispositionen für Krankheiten munter der
nächsten Generation weitergegeben.
Die Gesundheit hat
oberste Priorität
Für den Pferdebesitzer und Züchter ist es allerdings
nicht einfach zu entscheiden, ob erbliche
Dispositionen zu Buche stehen, da die Vererblichkeit
einer Erkrankung nicht immer bewiesen
ist, sondern häufig nur einer Vermutung
unterliegt. Wenn wirtschaftliche Interessen eine
Rolle spielen, werden degenerative Erkrankungen
auch gerne mal verschwiegen, um aus dem
Pferd noch Kapital zu schlagen. Somit kommen
wissentlich oder unwissentlich Pferde in die
Zucht, die möglicherweise unerwünschte Merkmale
an die Nachzucht weitergeben.
Unglücklicherweise können sich schließlich
Veranlagungen zu Erkrankungen fest im Erbgut
verankern. Damit fährt die Zucht in eine Sackgasse,
die niemandem dienlich ist.
Die Verantwortung des Züchters ist deshalb sehr
hoch, wenn er Elterntiere auswählt. Er muss die
Gesundheit als wichtigstes Auswahlkriterium
voranstellen, erst an zweiter Stelle darf die
Leistungsfähigkeit stehen. Zwar können nur
gesunde Pferde auch leistungsfähig sein, doch
darf dies nicht nur für begrenzten Zeitraum (der
Zeitspanne, in der Pferde auf Turnieren vorgestellt
werden) gelten, sondern sollte ein Kriterium
sein, das bis ins hohe Pferdealter gilt.
Sicherlich können junge Pferde Höchstleistungen
erbringen. Nach vielleicht zwei Jahren Turniereinsatz
gehen sie in die Zucht, doch wer
kann beurteilen, wie lange das Pferd noch fit
gewesen wäre, wenn es nicht vielleicht sogar
schon aufgrund eines Schadens aus dem Sport
genommen worden ist? Da können die Zuchtverbände
viele Forderungen nach gesunden
Pferden stellen; die Schwierigkeit besteht darin,
zu beweisen, ob das jeweilige Pferd langfristig
gesund gewesen wäre oder keiner erblichen
Disposition für eine Erkrankung unterliegt, die
erst später oder gar nicht bei diesem Pferd auftaucht,
aber an die nächste Generation weitergegeben
wird.
Diesem Problem werden Züchter immer gegenüber
stehen. Doch bei Pferden, bei denen bereits
eine Erkrankung ausgebrochen ist, eine vererbliche
Disposition vermutet wird oder bewiesen
ist, kann der Züchter handeln! Diese Pferde
sollten rigoros aus der Zucht genommen beziehungsweise
erst gar nicht eingesetzt werden.
Schwierig ist die Entscheidung aber auch darüber,
ob die Elterntiere von Pferden, die eine
Erkrankung mit vermutlich erblicher Disposition
aufweisen, ebenfalls aus der Zucht genommen
werden sollen. Dabei kann meist nur vermutet
werden, ob die Vererbung vom Vater oder der
Mutter – vielleicht aber auch von beiden – erfolgt
ist.
Und wie viele gesunde Nachkommen muss die
Anpaarung haben, um die Tiere in der Zucht zu
belassen?
Multifaktorielle Erkrankungen
Hinzu kommt, dass die meisten Erkrankungen
als multifaktoriell gelten. Dies bedeutet, dass
nicht nur die erbliche Komponente eine Rolle
spielt, sondern ebenso auch Aufzucht, Fütterung,
Haltung und Training des Pferdes. Als
Beispiel steht hier die Podotrochlose (Hufrollenentzündung),
bei der aufgrund einer familiären
Anhäufung eine Erblichkeit dieser Erkrankung
als sehr wahrscheinlich angenommen wird. Dennoch
wird vermutet, dass weitere Einflussfaktoren
das Entstehen der Hufrollenentzündung
begünstigen. Stellungsfehler und zu kleine Hufe
als erbliche Faktoren könnten so die Grundlage
für die Krankheit sein. Da die Podotrochlose jedoch
gehäuft bei Pferden auftritt, die reiterlich
(insbesondere im Springsport) eingesetzt werden,
spielt auch die (Ab-)Nutzung und das Training
des Pferdes eine nicht unerhebliche Rolle
bei der Entstehung der Erkrankung.
Ähnlich verhält es sich mit der Osteochondrosis
dissecans (OCD), wobei sich aufgrund einer
Zelldifferenzierung so genannte „Chips“ oder
„Gelenkmäuse“ (abgelöste Knochen- oder
Knorpelfragmente) bilden können, die dann
frei im Gelenk schwimmen. Die freien Knochenoder
Knorpelteilchen können zur Lahmheit
führen oder sogar Gelenke zerstören, wenn sie
sich in einen Gelenkspalt schieben. Man hat herausgefunden,
dass auch OCD bzw. die Bildung
von Chips eine multifaktorielle Erkrankung ist,
aber eine erbliche Veranlagung gegeben ist. Vor
allem spielt hier auch das Management der Aufzuchtphase
eine große Rolle.
Bei der Arthrose der kleinen Sprunggelenke,
unter Pferdeleuten als Spat bekannt, wird die
Erblichkeit von Vielen bestritten, dennoch kann
eine erbliche Veranlagung in Erwägung gezogen
werden. Dies gilt ebenso für alle anderen
Arthroseformen. Frühzeitiger Gelenkverschleiß
hat immer auch mit der Aufzucht und dem Einsatz
des Pferdes zu tun. Selbstverständlich muss
aber auch das Exterieur (die Relation von Größe
und Gewicht) sowie die Gelenkstellung als
Grundlage für eine Vererblichkeit mit einbezogen
werden.
Selbst das als „Untugend“ verharmloste Koppen
gehört zu den multifaktoriellen Verhaltensproblemen,
bei denen eine Erblichkeit vermutet
wird. Dieser Verdacht wurde dadurch bekräftigt,
dass koppende Pferde in bestimmten Blutlinien
gehäuft auftraten. Zu bedenken ist aber auch,
dass Langeweile, mangelnder Sozialkontakt
und Überstimulation als Auslöser für das Koppen
eine Rolle spielen.
Eine Disposition zur Erblichkeit scheint auch bei
der chronischen Bronchitis gesichert. Die Erkrankung
– auch als Dämpfigkeit bekannt – ist
durch Leistungsminderung, Husten und Sekretproduktion
in den tiefen Atemwegen gekennzeichnet
und gilt als unheilbar. Da bei gleichen
Haltungs- und Fütterungsbedingungen einige
Pferde krankhaft reagierten, während andere
gesund blieben, wird von einer Anfälligkeit für
dieser Erkrankung ausgegangen, die von Generation
zu Generation weitergegeben wird – also
erblich ist.
Ebenfalls eine vererbbare Disposition wird beim
Sommerekzem als nahezu gesichert angenommen.
Dennoch ist die Erblichkeit noch nicht bewiesen.
Auch die Haltungsbedingungen spielen
beim Ausbruch der Erkrankung eine Rolle. Da
jedoch bei gleicher Haltung nicht alle Pferde,
sondern nur einzelne Tiere erkranken, liegt die
erbliche Disposition auf der Hand.
Reine Erbkrankheiten
sind selten geworden
Weitere Erkrankungen, für die eine erbliche Disposition
vermutet wird oder als gesichert gilt,
sind unter anderem: Idiopathische Hemiplegia
laryngis (IHL) – besser bekannt als „Kehlkopfpfeifen“
–, Nabelbruch, Equine Degenerative
Myeloencephalopathie (EDM) und wahrscheinlich
auch das Wobbler Syndrom (wobei es durch
die Einengung des Spinalkanals zur Rückenmarkskompression
und somit zur Ataxie kommen
kann).
Neben den Erkrankungen, bei denen eine erbliche
Disposition lediglich vermutet werden kann
oder als höchst wahrscheinlich angenommen
wird, gibt es auch Erkrankungen, deren Erblichkeit
bewiesen ist. Diese Erkrankungen sind
selten geworden, da Pferde mit diesen Defekten
von der Zucht ausgeschlossen sind. Man kann
die Träger der meisten Erbkrankheiten mittlerweile
mit Gentests ausfindig machen, so dass
diese Pferde erst gar nicht in der Zucht eingesetzt
werden, auch wenn die Krankheit bei diesem
Pferd nicht oder noch nicht ausgebrochen
ist.
Zu den gesicherten Erbkrankheiten gehören die
hyperkaliämische periodische Paralyse (HYPP),
Reccurent Exertional Rhabdomylosis (RER), Polysaccaride
Storage Myopathy (PSSM), Equine
Maligne Hyperthermie (EMH), Severe combined
immunodeficiency (SCID), Overo lethal white
syndrome (OLWS), Glycogen branching enzyme
deficiency (GBED), Junctional epidermolysis bullosa
(JEB) und Hereditary equine regional dermal
asthenia (HERDA).
So lange jedoch Pferde in der Zucht eingesetzt
werden, die offensichtlich Erkrankungen aufweisen,
bei denen auch nur der Verdacht auf
eine erbliche Disposition besteht, wird langfristig
auch die Leistungsfähigkeit der Pferde darunter
leiden – schließlich ist die Leistungsfähigkeit
unmittelbar von der Gesundheit abhängig.
Deshalb kann nur an die Vernunft der Züchter
(dies gilt natürlich auch für Hobbyzüchter, die
womöglich nur ein Fohlen aus ihrer eigenen
Stute ziehen wollen) appelliert werden, die Auswahl
der Elterntiere sorgsam zu treffen und die
Gesundheit an die erste Stelle zu setzen. Das
bedeutet letztendlich den kompromisslosen
Ausschluss von Pferden aus der Zucht, wenn
auch nur der kleinste Verdacht auf eine Vererblichkeit
von Krankheiten oder deren Disposition
besteht.
Der Weg muss wieder dahin gehen, dass man
sich auch an Pferden erfreut, die womöglich
aufgrund einer erblichen Disposition, Erkrankung
oder Verletzung weder in der Zucht eingesetzt
noch unter dem Sattel gearbeitet werden
können, und somit nur auf der Wiese stehen.
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